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Stadtverwaltung setzt sich für Aufarbeitung traumatischer Kinderverschickungen ein

Vortrag mit Detlef Lichtrauter vom Verein Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW e. V.

© Stadt Bottrop

Zwischen 1950 und 1990 wurden in der Bundesrepublik Deutschland mehr als zehn Millionen Kinder in so genannte Erholungskuren geschickt. Haltungsschäden, asthmatische oder chronische Erkrankungen waren häufig der Grund für die bis zu drei Monate dauernden Kuraufenthalte. Viele der betroffenen Kinder leiden noch heute unter den schwerwiegenden Folgen dieser Erfahrungen. Besonders erschreckend sind die Berichte von Betroffenen über Esszwänge, Toilettenverbote sowie körperliche und seelische Misshandlungen während dieser Kuren, die tiefe Wunden hinterlassen haben.

Nach Berichten von Bottroper Bürgerinnen und Bürgern über ihre traumatischen Erfahrungen während solcher Kuren haben Oberbürgermeister Bernd Tischler und Sozialdezernentin Karen Alexius-Eifert beschlossen, sich dieses wichtigen Themas anzunehmen. Sie luden Detlef Lichtrauter, den 1. Vorsitzenden des Vereins Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW e. V., zu einem Vortrag nach Bottrop ein. „Wir haben uns sofort auf die Suche nach Informationen gemacht, aber diese waren rar. Deshalb ist es wichtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wir wollen ein Forum bieten und das Thema nicht unter den Tisch fallen lassen", erklärte Sozialdezernentin Karen Alexius-Eifert. Detlef Lichtrauter begrüßte das Engagement der Stadt Bottrop, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und den Betroffenen eine Stimme zu geben. „Ich finde es toll, dass die Stadt die Initiative ergriffen hat und auf mich zugekommen ist.“

Detlef Lichtrauter berichtete gestern (09.04.) im Haus der Vielfalt des Paritätischen über die Geschichte der Kinderverschickungen in Deutschland, seine eigene Geschichte und den aktuellen Stand der Aufarbeitung sowohl auf Bundesebene als auch speziell in Nordrhein-Westfalen. Im Alter von zwölf Jahren ist er selbst verschickt worden und hat im Haus Bernward in Oberkassel verschiedene Formen von physischer und psychischer Gewalt erlebt. „Es ist auch erwiesen, dass der Leiter des Heims, Dr. Otto Müller, uns mit Spritzen sediert hat. Ich habe mitbekommen, wie die Bettnässer bloßgestellt und ihnen Spritzen mit destilliertem Wasser in den Körper gerammt wurden“, berichtet Lichtrauter. Da die Kinderverschickung staatlich gefördert wurde, verdienten die Träger der Einrichtungen viel Geld mit jedem Kind, aber auch die Ärzte, die aggressiv für solche Kuren warben. Als eines der wichtigsten Kriterien für einen Erfolg musste eine Gewichtszunahme nachgewiesen werden. Möglichst viele Kinder mit möglichst wenig Personalaufwand zu mästen, war das Ziel. Die meisten Täter kamen straflos davon, nur wenige Mitarbeiter meldeten die Übergriffe. Den Kindern glaubten oft selbst die eigenen Eltern nicht. Sein sachkundiger und gleichzeitig emotional berührender Bericht bewegte die Anwesenden tief. Sie stellten Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen fest. Im Anschluss an den Vortrag bestand die Möglichkeit, sich auszutauschen, Fragen zu stellen und Kontakte zu knüpfen.

Die Veranstaltung fand in enger Zusammenarbeit mit dem Paritätischen in Bottrop statt. "Wir werden auch im Nachgang ein Treffen in unserem Haus anbieten", versprach Friederike Lelgemann vom Paritätischen Bottrop. Ab dem 21. Mai können sich Betroffene jeden 3. Dienstag im Monat von 17.00 bis 18.30 Uhr im Haus der Vielfalt (Gerichtsstraße 3) bei einem Treffen auszutauschen.

Aufarbeitung und Dokumentation
Der Verein Verschickungskinder fordert neben einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kinderkuren die Schaffung eines Therapiefonds, aus dem Behandlungen für Langzeiterkrankte finanziert werden. „Die Langzeitfolgen für Mitbetroffene sind unermesslich“, sagte der Vorsitzende Detlef Lichtrauter. Die Betroffenen stellen aber keine finanziellen Forderungen. „Wir erwarten Antworten auf die Fragen nach Ursachen von systematischer Gewalt und von schwarzer Pädagogik, die über vier Jahrzehnte angewandt wurden“, sagte Lichtrauter. Interessierte können sich auf der Homepage des Vereins informieren und auch anonym Zeitzeugenberichte abgeben. Der zweite Schwerpunkt ist die Unterstützung und die Resilienzstärkung der Betroffenen. Angeboten werden z.B. Lesungen, Workshops oder Exkursionen zu den Einrichtungen. „Wir freuen uns über jeden, der unserem Verein beitritt, um ein Zeichen zu setzen“, sagt Lichtrauter. Außerdem hat sich ein sogenannter Runder Tisch unter der Federführung von Sozialminister Karl-Josef Laumann konstituiert.

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