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Der Redner

„ Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass politische Arbeit ihren ersten Auftraggeber in der zeitlichen Situation eines Volkes sehen muss, dass traditionelle Rücksichten sich wohl als Lehrmeister, niemals als neue Richtlinie äußern dürfen.“

Am 28. November 1949 wurde Ernst Wilczok mit 27 Jahren zum Oberbürgermeister der Stadt Bottrop gewählt. Er war zu diesem Zeitpunkt jüngster Oberbürgermeister der Bundesrepublik Deutschland.© Stadt Bottrop

"......Meine Damen und Herren!

Die Besonderheit der heutigen Wahl veranlaßt mich, Ihnen in kurzen Zügen meine Auffassung zur Kommunalpolitik darzulegen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß politische Arbeit ihren ersten Auftraggeber in der zeitlichen Situation eines Volkes sehen muß, daß traditionelle Rücksichten sich wohl als Lehrmeister, niemals aber als neue Richtlinie äußern dürfen. Die deutsche Katastrophe von 1933 mit ihrem infernalischen Ausklang im Jahre 1945 bestimmt mit ihren seelischen und materiellen Folgen nicht nur die große Politik; sie muß zwangsläufig ihren Niederschlag auch in der politischen Arbeit der Gemeinde finden. Wir sprechen häufig von den Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern und wir hegen berechtigte Sorgen, daß die mühevolle Arbeit aller positiven Kräfte nur langsam und schwierig von beschränkten Erfolgen gekrönt ist. Ist es aber überhaupt denkbar, diesen für eine solide Politik im großen notwendigen Kontakt zu schaffen, wenn er auf der unteren Ebene auch nicht im entferntesten vorhanden ist. Die alten deutschen Städte hatten bis in das 19. Jahrhundert trotz ständiger Eingriffe absolutistischer Monarchen dieses echte Bürgergefühl. In der Epoche der Industrialisierung ist es dann verlorengegangen bzw. hat es sich nur in einer kleinen Schicht gehalten. In den sprunghaft gewachsenen Städten des Industriegebietes ist diese Tatsache zu einem Problem erster Ordnung geworden.

Mit Klemens Kraienhorst bei der Vereidigung nach einer Wiederwahl.© Stadt Bottrop

Unsere Stadt fällt unter diese Gemeinwesen. Es gibt kein Patentrezept zur Lösung dieser gesellschaftlichen Krise. Ich bin nicht so vermessen, in dieser zentralen Angelegenheit eine völlig eigene Marschroute zu entwickeln. Hier möchte ich den Ministerpräsidenten unseres Landes Nordrhein-Westfalen zitieren, der vor einigen Wochen erklärt hat, diese Krise könne nur überwunden werden, wenn sie von Kräften getragen sei, die vom geistigen und sittlichen Wollen der deutschen Arbeiterschaft kommen. Dabei gelte dieser Grundsatz der Gleichberechtigung in der Gesamtheit der Politik, der Wirtschaft und der Betriebe. Unsere stolzen Bürger der vergangenen Jahrhunderte hatten eine Heimat in ihren Familien, in ihrer Werkstatt. Daraus ergab sich folgerichtig die starke Anteilnahme am politischen Geschehen innerhalb ihrer Städte. Dieses echte Bürgergefühl gerade bei dem Stand zu schaffen, der dieser Stadt das Gesicht gibt, ist unsere zentrale Aufgabe. Ich führe das aus, ohne die Verdienste der übrigen Bevölkerungsschichten auch nur im geringsten schmälern zu wollen. Wir müssen auch ihre Entwicklung wünschen und fördern. Eine Auflockerung unserer leider so einseitigen soziologischen Struktur erleichtert nicht unwesentlich die Durchführung des zentralen Anliegens. Ich darf in diesem Zusammenhang mit Genugtuung feststellen, daß unsere städtische Struktur Ursache dafür ist, daß das zentrale Anliegen nicht die Angelegenheit einer oder mehrerer Fraktionen dieses Hauses ist, sondern seine Verfechterin in allen Fraktionen hat.....

Ernst Wilczok bei einer Rede zum 1. Mai.© Stadt Bottrop

Meine Damen und Herren,

wenn wir in Münster 175 Jahre Regierungsbezirk Münster feiern, dann kommen wir nicht umhin, die letzte Bewährungsprobe dieses Bezirks darzustellen. Wir wissen, daß die Absicht, Regierungsbezirksgrenzen zu ändern, ursprünglich keine Absicht der jetzigen Landesregierung war. Im Gegenteil, eine solche Absicht geht schon seit Jahren im Lande um. Die CDU-Fraktion des Landtags hat 1965 beantragt, einen Regierungsbezirk Ruhrgebiet zu bilden. Dieser Antrag ist dann in der Versenkung verschwunden.
Ich sage das nur, weil im Laufe der Jahre viele, die weit weg von Münster, Arnsberg und Detmold angesiedelt waren, daran dachten, neue Abgrenzungen einzuführen, was ja durchaus auch sein Gutes haben könnte. Nur ist diesmal die gute Absicht dahin degeneriert, daß am Ende nicht Notwendigkeiten für die Verwaltung des Landes, sondern andere Erfordernisse gemischt mit partikularen Interessen, gemischt auch mit Meinungen besonders wichtiger Vertreter den Ausschlag geben sollten. Man hat dabei übersehen, daß zwischen Gronau und Ahlen, zwischen Tecklenburg und Bottrop — ich nenne hier die Eckpunkte der vier alten Herrschaften — inzwischen doch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden ist. Darüberhinaus hat insbesondere der südliche Bereich des Regierungsbezirks sehr wohl erkannt, daß seine Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Regierungsbezirk am besten berücksichtigt werden.

Ich bin mir heute sicher, daß wir in der Auseinandersetzung um die Abgrenzung der Regierungsbezirke unterlegen wären, wenn man den ersten Vorschlag — Vierteilung des Landes — beibehalten hätte, obwohl wir aus dem nördlichen Revier uns aus guten Gründen auch gegen diese Absicht gewandt hätten. Denn jeder, der Ruhrgebietspolitik betreiben und dieser Region Hilfe geben will, muß zunächst einmal die Situation untersuchen, und er wird feststellten, daß es zwei Ruhrgebiete gibt. Gibt man zusätzliche Hilfen, und das läßt sich meist nur bei Kürzung von Hilfen für andere Landesteile durchführen, dann darf nicht übersehen werden, daß wir in einem Teil des Reviers eine gute kommunale Ausstattung haben, insbesondere aber auch mit Einrichtungen im tertiären Bereich, die den Vergleich mit der Durchschnittsausstattung des Landes in städtischen Gebieten durchaus aufnehmen können.
Hätte man das nördliche Ruhrgebiet gerade in der Zeit der mit den Regierungsbezirken deckungsgleich geschaffenen neuen Landesplanungsgemeinschaften dem Regierungsbezirk Arnsberg zugeordnet, dann müßte man gerade bei knapper werdenden Ressourcen unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Hellwegzone schon eine gute Ausstattung hat, sich sagen lassen müssen, daß es für den nördlichen Planungsbereich solche wünschenswerten Einrichtungen vorerst nicht geben kann. Ich will damit nicht sagen, daß wir solche Einrichtungen bei Münster gleich in einigen Monaten oder Jahren haben werden. Aber eine Planung, die die Notwendigkeiten aus der Sicht der Region Münster sieht, wird natürlich in besonderer Weise das nördliche Ruhrgebiet — und das sind der Kreis Recklinghausen und die Städte Bottrop und Gelsenkirchen — berücksichtigen.

Auf einer Parteiversammlung der SPD 1982 im Saalbau. Wilczok wurde damals mangelnde Parteidisziplin vorgeworfen.© Stadt Bottrop

Wir haben uns in all den Jahren für eine Regelung eingesetzt, die den Bestand des Regierungsbezirks sichert. Und hier möchte ich auch ein Wort des Lobes und des Dankes an die Adresse der Landesregierung sagen. Die Landesregierung hat sich nicht beirren lassen. Es gibt keinen amtlichen Vorschlag der Landesregierung, der den Regierungsbezirk Münster in seinem Bestand verkürzen sollte. Dies war wohl Diskussionsgegenstand in verschiedenen politischen Gremien, aber nicht in dem politischen Gremium Landesregierung. Die Landesregierung hat angesichts der Fakten, die allen offenkundig wurden, auf eine Neuabgrenzung der Regierungsbezirke verzichtet. Münster blieb in den alten Grenzen erhalten. Dabei muß man natürlich auch sagen, daß es im Ruhrgebiet über die Regierungsbezirksgrenzen hinweg wichtige Verbindungen gibt, die nicht abgeschnitten werden dürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
meine Ausführungen sind wahrscheinlich mehr geworden als nur ein Grußwort. Ich habe mir einiges an Kritik erlaubt, und ich meine, wir, die Städte und Gemeinden, dürfen das gerade an diesem Jubiläumstag, weil wir fest zu diesem Staate stehen. Wir müssen diese Aussage nicht ständig wiederholen; denn dieser Staat ist unser Staat, und wir wissen, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer, auch unser Land Nordrhein-Westfalen, auf die Dauer nur eine starke Stellung behalten können, wenn es starke Städte und Gemeinden gibt.
Ich glaube, daß es in unserm Bereich, in Preußen, in Nordrhein-Westfalen, in diesem Regierungsbezirk alles in allem in diesen 175 Jahren, wenn auch mit Ausnahmen, eine gute Entwicklung gegeben hat. Und daß wir für die Zukunft, wenn sich die Partner Land und Gemeinden bei aller notwendigen Kritik mit gegenseitigem Respekt begegnen, auch eine positive Entwicklung zum Wohle aller Bürger haben werden."

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